Das blühende Leben

Das blühende Leben
Bildrechte Charlotte Merget-Fell

Im Wohnzimmer steht ein cremefarbenes Sofa. Die Vorhänge dahinter passen farblich dazu, sie fallen weich und ordentlich bis zum Boden. Auf dem Couchtisch steht eine stilvolle Vase mit frischen Blumen, daneben eine Obstschale mit glänzenden Äpfeln und perfekt reifen Bananen. Alles picobello. Es ist ein Bild, wie man es oft aus der Werbung oder den sozialen Medien kennt.

Manchmal wünsche ich mir so ein Wohnzimmer. Aber bei mir sieht es anders aus: das Sofa ist zerknautscht, der Vorhang hängt schief. Auf dem Tisch steht noch die Kaffeetasse vom Frühstück und die Banane ist längst braun und matschig.

Manchmal wünsche ich mir auch einen aufgeräumten Kopf: klare Gedanken, sortierte Gefühle, einen Plan für alles.

Aber bei mir sieht es anders aus: Gedanken wirbeln, Gefühle lassen sich nicht so leicht sortieren. Es gibt Fragen, für die sich keine schnellen Antworten finden lassen und Sorgen, die mitreden wollen. Vieles bleibt unklar und durcheinander. Das Leben ist selten ordentlich und picobello.

In der Bibel beginnt es, das Leben, genau dort: im Chaos. „Tohuwabohu“ heißt es im 1. Buch Mose, Kapitel 1. Die Erde war wüst und leer. Und mitten in dieses Durcheinander hinein spricht Gott. Schafft Raum. Trennt Licht von Dunkel. Bringt Ordnung. Es ist keine picobello-Wohnzimmer-Ordnung, sondern eine Ordnung, in der Leben wachsen und erblühen kann.  

Diese Art von Ordnung tut gut. Sie sagt nicht: Alles muss stimmen. Sondern: Da darf etwas wachsen. Im Chaos, der Unordnung – und auch im Schmerz.

Ein Bild dafür entstand im Familien­gottesdienst am Ostersonntag: eine große Blume, bunt und lebendig. Sie ist aus Tränen gewachsen. Aus allem, was Kinder und Erwachsene traurig macht: Wenn jemand gestorben ist, wenn die Familie nicht da ist, Lage und Entwicklung der Welt, Krieg, Streit, politische Situation, …

Die Blüten dieser Blume bestehen aus allem, was tröstet: Gemeinschaft, Familie und Freunde, Gottes Liebe, Kinderlachen, Natur, …

Ein Bild für ein Leben, das nichts verdrängt, sondern verwandelt. Eine Hoffnung, die das Chaos nicht überdeckt, sondern mitten darin Wurzeln schlägt.

Es bleibt dabei: Manchmal wünsche ich mir ein Wohnzimmer wie aus dem Katalog. Und manchmal wünschte ich, ich wäre das Chaos, die Unordnung und den Schmerz einfach los.

Aber das Bild der Blume aus dem Oster­gottesdienst bleibt mir. Eine Blume, die aus Tränen wächst und trotzdem voller Farbe und Leben ist. Es erinnert mich: Das Leben muss nicht picobello sein, damit es gut ist. Gott ist nicht erst irgendwann später da, wenn alles perfekt ist. Er wirkt mitten im Durcheinander hier und jetzt. Er lässt das Leben erblühen.

Das gibt mir Kraft für meinen Alltag und für das Leben in unserer Gemeinde.

Ich wünsche Ihnen eine gesegnete Sommer- und Herbstzeit!

[Ihre Pfarrerin Charlotte Merget-Fell]