Wie wird eine Pfarrstelle besetzt?

Veränderungen kündigen sich an: Ende April ging Hochschulseelsorgerin Jutta Lang in Ruhestand. Die halbe Pfarrstelle, die bisher unserer Gemeinde zugeordnet war, soll ab November wiederbesetzt werden. Ein Wahlgremium, bestehend aus je drei Mitgliedern des Kirchenvorstands, des Fachbereichs, in diesem Fall der Hochschulausschuss, sowie der Dekanatssynode verfasste einen Text für die Ausschreibung der Stelle.

Die 1. Pfarrstelle unserer Gemeinde wird ab 1. Februar 2022 ebenfalls vakant sein: Dann trete ich in die Freistellungsphase meiner Altersteilzeit. Auch für diese Stelle sind 6 Monate der Vakanz vorgeschrieben. Hier hat der Kirchenvorstand das Recht, die Freude oder auch die Qual der Wahl: Er kann aus bis zu drei Kandidatinnen und Kandidaten eine Person auswählen, die im nächsten Sommer ins Pfarrhaus gegenüber der Himmelfahrtskirche zieht.

Der Kirchenvorstand redet mit

So viel Mitspracherecht relativ kurz hintereinander ist selten. Pfarrstellen werden in unserer Landeskirche nämlich in einem alternierenden Verfahren besetzt: Wird eine Stelle zum ersten Mal vergeben – und danach bei jedem zweiten Mal – entscheidet der Landeskirchenrat, wer kommt. Der Dekan stellt dem Kirchenvorstand den neuen Pfarrer bzw. die neue Pfarrerin vor. Das war’s dann schon mit der Beteiligung. Nur, wenn der Kirchenvorstand schwerwiegende Bedenken vorträgt, kann der Landes­kirchenrat eine andere Person benennen.

Bei jeder zweiten Besetzung liegt die Entscheidung dagegen beim Kirchenvorstand. Völlig frei ist dieser allerdings auch in diesen Fällen nicht: Der Landeskirchenrat sortiert vor. Er wählt aus der Zahl der Bewerberinnen und Bewerber drei geeig­nete Personen aus und schlägt diese dem Kirchenvorstand in einer nicht öffentlichen Sitzung vor.

Angebot und Nachfrage

Bevor es soweit ist, muss die Stelle zunächst einmal ausgeschrieben werden. Es ist die Zeit der Fakten, Wünsche und Erwartungen. Der Kirchenvorstand überlegt: Was zeichnet unsere Gemeinde aus? Wie wollen wir uns präsentieren? Was wünschen wir uns vom künftigen Pfarrer, der neuen Pfarrerin? Auch das Pfarrhaus wird beschrieben. Die Anzahl der Mitarbeitenden. Gruppen. Kreise. Gottesdienste.

Der Regionalbischof kommt in den Kirchenvorstand und leitet diese Sitzung. Hört zu. Fragt nach. Erfährt mehr über die Gemeinde. Auch Mitarbeitende kommen zu Wort. Der Dekan ist ebenfalls dabei: Er erstellt einen Entwurf der Ausschreibung. Im Benehmen mit dem Leitungsgremium der Gemeinde. Der Text geht ans Landeskirchenamt und wird im Amtsblatt veröffentlicht, das jeden Monat erscheint.

Auf eine Pfarrstelle kann sich grundsätzlich jeder Pfarrer und jede Pfarrerin unserer Landeskirche bewerben. Auch Besuche in der Gemeinde und persönliche Gespräche sind zunächst noch erlaubt: Um sich zu informieren. Erste Eindrücke zu sammeln: Wie ist es dort? Wer und was käme da auf mich zu? Im Kreis der Familie wird beratschlagt: Wollen wir dort hin?

Mehr als ein Job

Eine Pfarrstelle ist mehr als ein neuer Arbeitsplatz. Das gesamte Umfeld ändert sich: Von wenigen Ausnahmen abgesehen ist jeder vollen Gemeindestelle ein Pfarrhaus oder eine Pfarrwohnung zugeordnet. Passt das zu uns? Kinder müssen oft die Schule wechseln. Partner eine neue Arbeitsstelle finden. Und wer hat schon Lust und Nerven, sich auf die sprichwörtliche „Katze im Sack“ einzulassen und sich blind und „auf gut Glück“ zu bewerben?

Ist die Bewerbung erfolgt, ist vornehme Zurückhaltung angesagt. „Wer sich beworben hat, darf weder durch persönliche Besuche bei einzelnen Mitgliedern des Kirchenvorstands noch durch Schreiben an diese noch durch vergleichbare Maßnahmen versuchen, die Entscheidung des Kirchenvorstands zu beeinflussen.“ Bestimmt die Pfarrstellenbesetzungsordnung. So sollen Beeinflussungen vermieden und verdeckte Wahlkämpfe ausgeschlossen werden.

Dezent …

Während die Kandidierenden jetzt nicht mehr aktiv werden dürfen, schwärmen nun Mitglieder des Kirchenvorstands aus, um sich schon im Vorfeld der Wahl einen Eindruck zu verschaffen. Möglichst so dezent, dass niemand etwas davon erfährt. Vor allem nicht die Gemeinden der Bewerber­innen und Bewerber.

„Dabei ist stets darauf zu achten, dass die Würde der sich bewerbenden Personen und deren Familie sowie das Ansehen des Amtes nicht beeinträchtigt und die Chancengleichheit gewahrt wird.“ Fordert die Verordnung. „Der Kirchenvorstand darf die vorgeschlagenen Personen weder zu Probepredigten in der Kirchengemeinde auffordern noch ihnen sonst eine Gelegenheit geben, sich vor der Entscheidung in der Kirchengemeinde vorzustellen.“

… und konspirativ

Als ich vor vielen Jahren zur Wahl in meiner vorherigen Gemeinde stand, erledigten die Mitglieder des Kirchenvorstands das so geschickt, dass nicht einmal ich selbst etwas von ihren Erkundungen merkte:

An einem Sonntag parkten sie ihre Autos ein paar Blocks entfernt von der Kirche, um mich in einem Gottesdienst zu begutachten. Fremde Kennzeichen hätten ihr Inkognito gelüftet!

Eine Lehrerin, die wohl vor allem meine pädagogischen Fähigkeiten testen wollte, mischte sich bei einem Kinderbibelwochentag mitten unter andere Mütter und setzte sich sogar noch ein fremdes Kind auf ihren Schoß – die Tarnung war perfekt! Ich hätte schwören können: Niemand hat sich bei mir blicken lassen!

Beschnuppern und befragen

Erst am Tag der Wahl stellen sich die drei Kandidatinnen bzw. Kandidaten dem Kirchenvorstand persönlich vor. In getrennten Gesprächen. Werden befragt. Stehen Rede und Antwort. Tauschen sich aus.

Beide Seiten beschnuppern sich: Passen wir theologisch zueinander? Was brauchen die Menschen vor Ort? Welche Bilder von Gemeinde prägen uns? Gibt es bestimmte Vorlieben und Schwerpunkte, die der oder die „Neue“ setzen will?

Der Dekan leitet die Sitzung. Haben sich alle vorgestellt, wird abgestimmt. In geheimer Wahl. Oft mehrmals nacheinander. Gewählt ist, wer auf Anhieb zwei Drittel der Stimmen auf sich vereint. Im zweiten und dritten Wahlgang reicht die absolute Mehrheit aus. Wird diese auch im dritten Wahlgang nicht erreicht, kommt es zur Stichwahl, notfalls zweimal hintereinander. Bei Gleichstand entscheidet das Los. Das Stimmenverhältnis unterliegt der Schwei­gepflicht.

Endspurt

Steht das Ergebnis schließlich fest, darf sich eine bzw. einer freuen – und die anderen auf neue Chancen hoffen. Für ein paar Tage halten alle Beteiligten noch dicht: Damit der oder die neue Pfarrerin seine bzw. ihre „alte“ Gemeinde informieren kann.

Zeitgleich verhandeln die jeweiligen Dienstvorgesetzten einen sinnvollen Termin für den Stellenwechsel. Der „abgebende“ Dekan bremst dabei gerne: Er möchte, dass der Abschied und die Vertretung der bisherigen Aufgaben gut geregelt werden. Der „aufnehmende“ Dekan drückt dagegen schon mal auf die Tube: Je schneller desto besser. Die Gemeinde wartet schließlich darauf, dass endlich wieder Licht im Pfarrhaus brennt!

[Pfarrer Hans-Martin Köbler]