Weihnachten im Lauf der Zeiten

Wie feiern Sie Weihnachten in diesem Jahr? Im Freien? Zu Hause? Oder versuchen Sie, einen der raren Plätze in einem Kirchenraum zu ergattern? So oder so: Weihnachten auf Abstand – keine Chance auf die übliche drangvolle Enge im Stall von Bethlehem.

Neue Wege

In Zeiten von Corona ist vieles ungewöhnlich und ungewohnt. Manches geht nicht in diesem Jahr. Das ist schade. Es hat aber auch seinen Reiz. Neue Wege tun sich auf.

Neu ist das nicht. Schon früher gab es Veränderungen – wie der Blick zurück in die Geschichte dieses Festes zeigt.

Was viele nicht wissen: Der Heilige Abend mit Christvesper und anschließender Bescherung ist – verglichen mit zwei Jahrtausenden christlicher Tradition – noch gar nicht so alt. Und das Christkindl eine „Erfindung“ von Martin Luther. Während die Auferstehung Jesu an Ostern schon zu Beginn des 2. Jahrhunderts gefeiert wurde, dauerte es mit einem eigenen Fest zur Erinnerung an seine Geburt noch eine Weile. Die Meinungen gingen schon früh auseinander. Nicht einmal auf einen gemeinsamen Termin konnten sich die Christen einigen! Zwei verschiedene Tage standen – und stehen immer noch – in Konkurrenz zueinander.

6. Januar – Epiphanias – Ägypter und Griechen

Der erste und ursprüngliche Termin stammt aus Ägypten: Schon mehrere Jahrhunderte vor Christus wurde in der Nacht vom 5. zum 6. Januar die Geburt des Sonnengottes Aion aus der Jungfrau Kore gefeiert. In einem feierlichen Ritus wurde Wasser aus dem Nil geschöpft.

Christen knüpften daran an: Sie „tauften“ das heidnische Fest und feierten (wohl schon im 3. Jahrhundert, vielleicht auch schon früher) am 6. Januar die Geburt und die Taufe Jesu Christi.

Epiphanias wurde das Fest genannt. Erscheinung. Im Antiken Griechenland bezeichnete man damit die feierliche Präsentation einer Gottheit: Bei einem Fest in Delphi war es üblich, Götterbild zu enthüllen und zu zeigen. Am Tag der „Erscheinung des Herrn“ wurde nun der „Erscheinung der Herrlichkeit Gottes auf Erden“ gedacht und die Erinnerung an biblische „Mysterien“ mit diesem Tag verbunden: Die Brotvermehrung mit der Speisung von Tausenden, das Weinwunder von Kana und die Huldigung der Weisen aus dem Morgenland. Heute ist der „Tag der Heiligen Drei Könige“ gesetzlicher Feiertag in Bayern, Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt.

25. Dezember – Vom römischen Kaiser zum Herrn der Welt

Näher ist den meisten von uns die zweite Tradition. Sie ist jünger, hat sich schließlich jedoch durchgesetzt: Am 25. Dezember, dem Tag der Wintersonnenwende, feierten die Römer das Fest des „Sol invictus“, des „unbesiegten Sonnengottes“. Römische Herrscher sonnten sich gerne in dessen Licht. Sie verglichen den Antritt ihrer eigenen Regierung gerne mit einem Sonnen­aufgang: Nach einer finsteren Nacht sollte eine neue, glanzvolle und glückliche Epoche beginnen.

Als das Christentum nach der Konstantinischen Wende im 4. Jahrhundert zur Staatsreligion erhoben wurde, wurde der Sonnengott entmachtet. Der Tag, an dem im Jahreskreis die Sonne ihren tiefsten Punkt erreicht und dann wieder zu steigen beginnt, wurde nun zum Fest, an dem die Christenheit den Aufgang der „Sonne der Gerechtigkeit“ verkündigte.

Sowohl als auch – ein sinnvoller Kompromiss

In einer mittelalterlichen Handschrift wird diese Verbindung und das Verhältnis der beiden Tage so beschrieben: „Nach feierlichem Herkommen pflegten die Heiden am 25. Dezember das Geburtsfest des Sonnengottes … zu feiern und zur Erhöhung der Festlichkeit Lichter anzuzünden. An diesen festlichen Bräuchen ließen sie auch das Christenvolk teilnehmen.

Da nun die Lehrer der Kirche die Wahrnehmung machten, dass die Christen an diesem Feste hingen, kamen sie nach reiflicher Erwägung zu dem Entschluss, an diesem Tag … fortan das Fest des wahren Aufgangs, am 6. Januar aber das Fest der Erscheinung zu feiern.“ So halten wir es bis heute.

Die Bezeichnung „Weihnachten“ – die geweihten Nächte – hat möglicherweise germanische Wurzeln. Sie kann aber auch noch anders abgeleitet werden: Martin Luther verwendete das neuhochdeutsche Wort „wiegen“. „Wygenachten“ war für ihn das Fest „da wir das kindlein wiegen“.

Das Fest verändert sich

Der Gottesdienst am „Heiligen Abend“ ist heute für viele der Inbegriff von Weihnachten – und der 1. Feiertag zum Familienfest geworden. Das war nicht immer so: Die Feier der „Christnacht“ war zunächst nur die Vigil, die Nachtwache vor dem hohen Fest. Christmette bezeichnete das in der Heiligen Nacht gesungene Stundengebet, die „Matutin“ – gefeiert zwischen Mitternacht und dem frühen Morgen. Schon bald wurde die Heilige Messe, das Abendmahl, darin zelebriert.

Erst später wurde die mitternächtliche Mette in vielen evangelischen Kirchen durch eine abendliche „Vesper“ ersetzt, die „Christvesper“. Aus mehreren Gründen: Weil die starke Betonung des Wortes bei uns Protestanten aufmerksame Predigt­hörer verlangte – und die sind am späten Nachmittag eher zur Konzentration fähig als kurz vor Mitternacht. Außerdem sollte der vorgezogene Gottesdienst helfen, manch fragwürdiges Treiben in der Nacht zum Christfest einzudämmen. In alten Berichten ist nachzulesen, dass nächtliche Umtriebe, ein Übermaß an Alkohol und die Dunkelheit der Nacht mancherorts Probleme schafften.

Das Christkind ist evangelisch

Und woher stammt nun das Christkindl? Kein geringerer als Martin Luther hat es im 16. Jahrhundert „erfunden“. Bis dahin war es üblich, dass bekannte Heilige den Kindern an ihren Gedenktagen Geschenke brachten: St. Martin, der heilige Nikolaus oder die heilige Barbara. Immer vorausgesetzt, die Kleinen waren das Jahr über „fleißig, fromm und brav“ gewesen.

Die Reformatoren taten sich anfangs schwer mit diesen „katholischen Gabenbringern“: Denn wenn es stimmt, „dass wir durch den Glauben an Christus Gnade erlangen und vor Gott gerecht werden und nicht durch Werke“, dann sollte sich das auch in der Praxis der vorweihnachtlichen Gaben niederschlagen.

Geschenke sollten sie sein. Nicht an bestimmte Leistungen gebunden. Und deshalb auch nicht von denen überbracht werden, die sich durch besonderen Glauben und ihre guten Werke vor anderen auszeichneten. Solus Christus – Christus allein – sollte in den Mittelpunkt des Glaubens rücken und sein Platz nicht durch Heilige relativiert werden.

Mit dem „Heiligen Christ“ schuf Martin Luther einen protestantischen Gegenpart zum heiligen Nikolaus. Er empfahl, die Bescherung vom damals üblichen Nikolaustag auf Weihnachten zu verlegen. Der Termin war schnell geändert. Doch mit der Kunstfigur des „Heiligen Christ“ konnten sich nur wenige anfreunden.

Es dauerte nicht lange, da wurde aus Luthers „Heiligem Christ“ das Christkind, das die Geschenke am Heiligen Abend in die Häuser und Wohnungen brachte. Und wieder einmal siegte Tradition über theologische Vorbehalte: Die Eigenschaften des heiligen Nikolaus wurden schlicht auf diese mythische Figur übertragen. Mit Gabensack und Rute ausgestattet erschien es in den Stuben, ließ die Kinder Gebete sprechen und verschwand anschließend wieder im Dunkel der Nacht.

Mittlerweile hat das „Christkindl“ seine Rute abgelegt. Die Gaben sind geblieben. Sie verweisen auf ein noch sehr viel tieferes Geschenk: „Christus selbst – für dich gegeben,“ heißt es in der Liturgie des Abendmahls. An Weihnachten bekommt dieses Geschenk Gottes an uns Hand und Fuß.

Fröhliches Christfest!

[Pfarrer Hans-Martin Köbler]