Für alle, die‘s ganz genau wissen wollen

Die neue Perikopenordnung

Perikope – was für ein Wort! So nannten die alten Griechen ein „rings umhauenes Stück“. Ab dem Mittelalter versteht man darunter etwas sehr viel Feineres: Einen Abschnitt aus der Bibel, der im Gottesdienst verlesen wird. An Weihnachten geht es um die Geburt Jesu. Am Karfreitag denken wir an sein Sterben. An Ostern feiern wir seine Auferstehung von den Toten.

Aber dazwischen und danach?

Weit über tausend Seiten umfasst die Bibel, unsere Heilige Schrift. Was ist besonders wichtig? Welche Perikopen sollen in den Gottesdiensten regelmäßig wiederkehren, um sich einzuprägen? Welcher Text ist auf Anhieb zu verstehen – und was erschließt sich erst bei längerem Nachdenken und Vergleichen?

Mehr als 500 Abschnitte

Jedem Sonntag sind im Lauf eines Kirchenjahres bestimmte Bibeltexte zugeordnet: Das Evangelium erzählt aus dem Leben Jesu. Die Epistel bezeichnet die Lesung aus einem der Briefe des Neuen Testaments. Ein Abschnitt aus dem Alten Testament erinnert daran, dass Juden und Christen eine gemeinsame Geschichte verbindet. Zu diesen drei Reihen kommen Lieder, Psalmen, weitere Texte, über die gepredigt werden soll – damit Pfarrerinnen und Pfarrer nicht in ihren Lieblingstexten und eingefahrenen Gedankengängen stecken bleiben. Der Turnus wiederholt sich alle sechs Jahre. Bei gut 50 Sonntagen im Jahr und noch einmal so vielen Feiertagen und weiteren Gelegenheiten ergeben sich auf diese Weise über 500 Texte, die mehr oder weniger regelmäßig in unseren Gottesdiensten gelesen werden.

Kaiser Karl der Große

Der Großteil der Perikopen geht auf Karl den Großen zurück: Der Kaiser hat im 7. und 8. Jahrhundert vieles in seinem Reich geordnet und strukturiert. Unter anderem den Gottesdienst: Er führte eine einheitliche Messordnung ein. Martin Luther hat später die Zuordnung von Bibeltexten und Sonntagen im Wesentlichen beibehalten.

Diese Perikopenordnung wird in unserer Kirche immer wieder einmal behutsam überarbeitet. Die bisherige Auswahl stammt aus dem Jahr 1978. Vierzig Jahre später ist nun eine neue Ordnung in Kraft. Sichtbar durch das ebenfalls neue Lektionar, aus dem am Sonntag gelesen wird. Die neuen Reihen erhalten das Bewährte, bringen aber auch mehr Abwechslung.

Mehr Frauen und back to the roots („zurück zu den Wurzeln“)

Es gibt nun mehr Perikopen, in denen Frauen vorkommen. Doppelt so viele Texte wie bisher entstammen dem Alten Testament. Jetzt ist es jeder dritte. Erhöht wurde die Zahl der Abschnitte, bei denen sich ein Bezug zu heutigen Lebensfragen ergibt oder zu Kunst und Kultur. Ich bin gespannt auf neue Entdeckungen und überraschende Impulse! Texte, die den christlichen Glauben eher verdunkeln als erhellen, wurden heraus genommen. Ebenso Inhalte, die sowohl im Matthäus- als auch im Markus-Evangelium zu lesen sind.

Ein gängiges Vorurteil behauptet: Die katholische Kirche hält zu sehr an Traditionen fest. In diesem Fall ist es genau umgekehrt: Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil ist unsere Schwesterkirche mit ihrem Messbuch von 1970 zu einer fortlaufenden Lesung aus den Evangelien übergegangen. Die lutherische Kirche hält dagegen an der frühmittelalterlichen Auswahl und Reihung der Texte fest.

Bei uns in der Himmelfahrtskirche kommt die Perikopenordnung in manchen Monaten allerdings kaum zur Geltung. Besonders geprägte Gottesdienste legen andere Themen und Texte nahe: Kantaten- und Jugendgottesdienste, Gottesdienste mit Konfirmandinnen und Konfirmanden, Familiengottesdienste und nicht zuletzt die Reihe der Sommerpredigten drängen die vorgegebene Ordnung immer wieder in den Hintergrund.

Zwei neue Sonntage

An einer Stelle im Kirchenjahr wurden sogar die Namen der Sonntage geändert. Der Termin des Osterfestes wandert. Er orientiert sich am Mondkalender. Deshalb schwankte jedes Jahr nach Weihnachten auch die Zahl der „Sonntage nach Epiphanias“, zwischen eins und fünf. Danach begannen die Sonntage der sogenannten „Vorfastenzeit“. Künftig endet die Weihnachtszeit spätestens am 2. Februar, Mariä Lichtmess. Ältere kennen das Fest noch unter seinem alten Namen: Mariä Reinigung. Maria brachte 40 Tage nach der Geburt Jesu ein Reinigungsopfer dar: Mit Joseph begab sie sich in den Tempel, um Jesus auszulösen, der als Erstgeborener nach jüdischem Denken Gott gehörte. Seit 1969 steht das Fest als „Darstellung des Herrn“ im katholischen Feiertagskalender. Aus dem Marienfest ist ein Christusfest geworden. Das können auch wir Evangelische gut und gerne mitfeiern. Und danach nun – je nach Mond­kalender – bis zu 5 Sonntage „vor der Passionszeit“.

[Hans-Martin Köbler]