Frauen der Reformation

Es ist ein Skandal, der seinesgleichen sucht. Eine entlaufene Nonne heiratet einen katholischen Mönch. Aus Katharina von Bora wird Katharina Luther. Nicht nur durch seine 95 Thesen, auch durch seine Heirat mit Katharina von Bora bringt Martin Luther ein jahrhundertealtes gesellschaftliches Gefüge zum Einsturz. Luther überprüft Werte und Normen seiner Zeit an der Bibel und gelangt zu einer neuen Bewertung des weiblichen Geschlechts: Frauen und Männer sind gleich viel wert. Die Hochzeit mit dem Reformator macht die ehemalige Nonne prominent: Geliebt und als Vorbild verehrt von den einen, verachtet und verteufelt von den andern.

Margot Käßmann bemerkt kritisch, dass hinter Katharina von Boras Bekanntheit zahlreiche, andere Frauen zurückstehen. „In der Lutherdekade, die seit 2008 in Deutschland zum Reformationsjubiläum 2017 hinführt, ist keines der Themenjahre den Frauen gewidmet.“ Obwohl nicht nur Zwingli, Calvin, Bucer, Melanchthon und Luther, sondern auch Frauen den Fortgang der Reformation mit ihren Gedanken und Taten bereicherten. Ihr Einfluss ist im Zuge der traditionellen Geschichtsschreibung verharmlost worden. Ein paar ganz unterschiedliche Beispiele:

Es sind 18 Flugschriften in verschiedenen Auflagen von reformatorisch denkenden Frauen überliefert. Argula von Grumbach war die erfolgreichste Flugschriftenautorin. Zwischen 1523 und 1524 erschienen acht Schriften in 29 Auflagen von ihr. Sie wendet sich gegen einen Ketzerprozess an der Universität Ingolstadt. Argula nimmt Stellung zu diesem Prozess. Nicht Mann oder Frau, sondern Gott soll bekannt und dem Teufel abgesagt werden, so ihre Thesen. 

Margarethe von Tresko wählte die Form eines offenen Briefes an den Bischof von Havelsberg, um um die Freilassung des reformatorischen Pfarrers zu bitten, den der Bischof gefangen nahm.

Katharina Schütz wurde durch ihre Heirat mit Matthias Zell eine der ersten Pfarrfrauen. Sie half beim Aufbau der Gemeinde und engagierte sich im sozialen Bereich. Sie und ihr Mann nahmen immer wieder Flüchtlinge bei sich auf, zuerst Glaubensflüchtlinge und als 1524 der Bauernkrieg ausbrach auch Kriegsflüchtlinge. Es waren immer wieder bedeutende Reformatoren bei der Familie Zell zu Gast. Katharina beteiligte sich an den Gesprächen über Glaubensfragen und mischte sich sogar mit einem Brief an Luther direkt in den Abendmahlsstreit ein. 1534 gab sie ein eigenes Liederbuch heraus und trug dadurch zur Verbreitung reformatorischen Gedankenguts bei. Als Matthias Zell 1548 starb, ergriff sie am Grab ihres Mannes selbst das Wort und hielt eine Predigt.

Frauen kamen in Haus- und Handbibliotheken zum Studieren und Diskutieren von reformatorischen Schriften zusammen. Deren Mundpropaganda ist nicht zu unterschätzen. Herzog Heinrich ertappte drei Hofdamen beim Lesen lutherischer Schriften und ließ sie vom Hof entfernen. Heinrichs Frau Katharina von Mecklenburg ließ sich dennoch nicht daran hindern, lutherische Schriften in das Magdalenerinnenkloster schmuggeln zu lassen, aus dem1528 Ursula von Münsterberg floh. Zudem holte Katharina Jacob Schenk nach Freiberg, einen evangelischen Prediger, und finanzierte seine Promotion.

Adelige Frauen konnten auch exponierte Positionen in der Reformation einnehmen und wirkmächtige Entscheidungen treffen. Die Herzogin Elisabeth zu Braunschweig-Lüneburg hat zusammen mit dem hessischen Reformator Antonius Corvinus die Reformation in Süd-Niedersachsen durchgesetzt. Sie regierte nach dem Tod ihres Ehemannes bis zur Volljährigkeit ihres Sohnes das Fürstentum Calenberg-Göttingen. 1538 trat sie zum evangelischen Glauben über. Sie verfasste ein Regierungshandbuch mit religiösen und politischen Ermahnungen für ihren Sohn, geistliche Lieder, lyrische und didaktische Schriften, ein Ehestandsbuch für ihre Tochter Anna-Maria, ein Trostbuch für Witwen, Verordnungen und ein Mandat für die Erhaltung der Reformation nach der Übernahme des Fürstentums durch ihren Sohn, der zum Katholizismus neigte.

Luther selbst konnte die theologische Bereicherung durch Frauen einerseits wertschätzen. In seinen (Liebes-) Briefen mit Katharina von Bora kommen auch Gespräche über Glauben, Abendmahl und Bibelverständnis vor. Er war freundschaftlich gesonnen gegenüber Argula von Grumbach und Katharina Zell. Andererseits war er natürlich auch beim Thema ‚Frauen‘ Kind seiner Zeit. Seine Vorstellung von Gleichberechtigung bestärkte Frauen in ihrer Rolle als Hausfrau und Mutter. Das war eine starke Veränderung für das Leben im 16. Jahrhundert. Aber ob er sich wohl 2017 für die Gleichberechtigung von Frauen und Männern in Beruf und Kindererziehung ausgesprochen hätte? Welche Tabus würde er heute brechen oder würde er in manchen Themen (Sexualität, Exegese, Politik) eher zurückrudern?

Auch sein damaliges Votum zum Predigen von Frauen reicht nicht bis zu meinem Verständnis von Gleichheit (und Verschiedenheit) von Mann und Frau. „Wenn aber kein Mann prediget, so wär’s von Nöten, dass die Weiber predigten“ (Luther, Vom Miss­brauch der Messe, 1521). Wie schön, dass Menschen heute das Besondere am Reden und Handeln beider Geschlechter schätzen können. Ob es lutherisch wäre, weiß ich nicht, aber evangelisch, dem Evangelium Jesu entsprechend ist es, daran glaube ich und bin dankbar für die Vorarbeit der Reformatoren und Reformatorinnen.

[Pfarrerin Sarah Fischer-Röhrl]