Sammeln und Konservieren

– das sollten wir nicht nur im Herbst … Im Herbst und vor allem auch an Erntedank erinnern wir uns immer wieder daran, wie wichtig und gut es ist, für die schlechteren Zeiten vorzusorgen. Wir danken für die Ernte, lagern Vorräte ein und was sich nicht gut lagern lässt, das wird konserviert: Marmelade in die Gläser, daneben Essiggurken, rote Beete und Apfelmus. Ein bisschen was legen wir auf Eis – Kräuter oder auch Zwetschgen für einen Datschi – oder verstecken es frisch aus dem Garten in einer Sandkiste.

Auch wenn heute die meisten von uns ihre Lebensmittel eher kaufen und wenig selbst anbauen, haben wir daheim Vorräte für schlechte Zeiten.

Doch nicht nur materielle Vorräte können und sollen wir sammeln, auch Vorräte für die Seele und den Geist sind wichtig. Im Kindergarten habe ich oft das Buch „Frederick“ von Leo Lionni vorgelesen – es geht darin um eine etwas andere junge Maus. Als alle Mäuse für den Winter Vorräte anlegen, sitzt Frederick rum, beobachtet und staunt. Und wenn die anderen schon etwas genervt fragen, warum er nicht arbeitet, dann sagt Frederick, er arbeite doch: er sammelt Farben und Sonnenstrahlen und Wörter für die dunkle und kalte Jahreszeit. Erst spät im Winter, als die meisten Vorräte schon aufgebraucht sind und die Mäuse sich kaum noch an die warmen und schönen Tage erinnern können, kommt Fredericks Zeit. Er kann die Mäuse an die bunten Farben und die wärmenden Sonnenstrahlen erinnern und aus den gesammelten Worten entsteht ein wunderschönes Gedicht. Ja, Frederick hat das Gute aus den anderen Jahreszeiten gesammelt und konserviert.

Gerade in den vergangenen Monaten, gezwungen durch die Kontaktbeschränkungen, mussten wir auch diese Erinnerungen raussuchen: die Schallplatte mit Musik aus den 80-ern (ja, das gibt’s auch auf Youtube und Spotify, wenn man den Plattenspieler schon verschenkt hat), ein gutes Buch noch mal lesen und sich auch an schöne Begegnungen mit Menschen erinnern und sich dadurch die Wartezeit verkürzen.

Auch in der Bibel habe ich eine schöne Stelle gefunden, in der es ums Sammeln geht. Eine nicht sehr bekannte Stelle, in einem wenig bekannten Buch aus den Apokryphen. Sie steht bei Jesus Sirach im 25. Kapitel: Wenn du in der Jugend nicht sammelst, wie kannst du dann im Alter etwas finden?

Über die Sprüche aus Jesus Sirach wird kaum gepredigt und doch lohnt sich ein Blick so ungefähr in die Mitte der Bibel. Der (namentlich nicht bekannte) Schreiber erzählt gleich zu Beginn, dass er die gesammelten Weisheiten seines Großvaters, jenes Jesus Sirach, übersetzt, um sie allen zugänglich zu machen. Als Brücke zwischen dem Alten und dem Neuen Testament finden sich kurze Lebensregeln der jüdischen Gemeinde in Form von Spruchweisheiten. Jesus Sirach gehört nach Martin Luther nicht zur Heiligen Schrift, ist aber „doch nützlich und gut zu lesen“, sagte der Reformator.

Wenn Sie Zeit und Muße – vielleicht auch gerade in der stilleren und dunkleren Jahreszeit – finden und sich mit Jesus Sirach beschäftigen, werden sie feststellen, dass er sehr viele Weisheiten formuliert hat, die auch für heutige Alltagsprobleme noch gelten. Ein paar Überschriften mag ich hier nennen: Hilfe für die Armen, Starrsinn und Vernunft, Ehrt die Eltern, Bedenke das Ende, Freundschaft und Vergebung. Starke Themen sind das, die über die Jahrtausende hinweg nicht an Bedeutung verloren haben, wie auch der Spruch, der mich so angesprochen hat.

Wenn du in der Jugend nicht sammelst, wie kannst du dann im Alter etwas finden?
(Sirach 25,3)

In der Jugend sammeln und konservieren, was mich später – und auch im Alter – tragen kann, das ist eine schöne Idee. Viele Fotos habe ich aufbewahrt, das Poesiealbum aus der Grundschule, den ersten Zahn und ein Gebetbuch, aus dem meine Oma mir vorgelesen hat … vieles, was ich gesammelt habe, fristet die meiste Zeit ein eher trostloses Dasein in der einen oder anderen Kiste. Aber wenn ich mal Zeit habe, umräume, ausmiste, dann findet sich in den Sammlungen der Jugend auch wirklich immer wieder etwas Schönes, das mir das Herz leicht macht.

Nicht nur schöne Dinge, sondern auch einzigartige, schöne Erinnerungen sammeln wir in der Jugend: der erste zarte Kuss, schaukeln bis zum Himmel, auch mal über die Stränge schlagen und viele unvergessliche Lieder, die mit bestimmten Erlebnissen und Ereignissen verbunden sind, kommen mir in den Sinn. Sicherlich haben auch Sie Bilder, Töne, Gerüche und Situationen vor Augen oder ganz tief im Herzen, die sich in der Vergangenheit angesammelt haben.

Wenn du in der Jugend nicht sammelst, wie kannst du dann im Alter etwas finden?
(Sirach 25,3)

Zu allen Zeiten haben Jugendliche und auch jung Gebliebene gesammelt und sammeln immer noch, nicht nur Bücher, Schneckenhäuser, Muscheln, Briefmarken, Diddl, Pokemon oder Paninibilder.

Ein Jahr lang durfte ich die evangelische Jugend unserer Himmelfahrtskirche beim Sammeln begleiten. Ich konnte mich an eigene Erfahrungen erinnern, aber auch noch mal neue machen, die ganz sicher einen festen Platz in meinem Sammel­album bekommen. Symbolisch steht das Titelbild dieses Gemeindebriefs dafür: Wir zeigen, dass wir zusammengehören, gerade auch weil wir alle so verschieden, bunt und vielfältig sind.

Ich bin freilich nicht mehr jugendlich, auch wenn eine sehr liebe Kollegin mich gegenüber der Kirchenverwaltung mit dem Satz in Schutz nahm: ja, im Herzen ist sie noch sehr jung. Aber in diesem Jahr durfte ich viele wertvolle Erfahrungen mit jungen Menschen machen und trage jede Menge bunte Erinnerungen aus diesem Jahr in mir.

Mir gefällt die Idee, dass wir in der Jugend (und auch weit darüber hinaus, nicht nur wenn wir uns jung fühlen) schöne Dinge und Erfahrungen sammeln und konservieren, um im Alter und in schwierigen Zeiten gut versorgt zu sein.

Ich wünsche Ihnen und euch Zeit zum Sammeln, Raum für Erfahrungen und immer Menschen, die da sind, und Gottes Segen, der schützt.

[Ihr Ulrike Tremmel]